Ein Unternehmen, das die Vielfalt seiner Mitarbeiter fördert, ist ein erfolgreicheres Unternehmen. Diese Erkenntnis ist längst bekannt, dennoch scheint der Wandel hin zu mehr Diversity, Equity & Inclusion (DEI) in Unternehmen oft nur langsam vonstatten zu gehen. Lina Maria Pietras, zertifizierte Business Leadership Coach und DEI-Managerin, weiß genau, wie man solche Veränderungen in Unternehmen beschleunigen kann. In dieser Podcastfolge besprechen Christian Underwood und Lina Maria Pietras, was DEI im Unternehmenskontext genau bedeutet und sie beschreibt, wie die ersten Schritte eines Unternehmens in Richtung Diversität aussehen können.
“Menschen wieder daran zu erinnern, mit Menschen zu arbeiten und Inklusion als Grundrecht aller Menschen zu sehen” – das ist es, was sie zu ihrer umfassenden Arbeit antreibt. Die Deutsch-Brasilianerin hat einen Abschluss als Diplombetriebswirtin an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und einen MBA an der WHU absolviert. Heute ist sie zertifizierte Business Leadership Coach und berät mit ihrer eigenen Firma Purpose.Hub Konzerne und mittelständische Unternehmen in den Themen Diversity, Equity & Inclusion (DEI). Sie ist darüber hinaus nicht nur German Diversity Award Gewinnerin in der Kategorie Disability, sie ist auch ehrenamtlich in vielen Organisationen tätig. Und all das meisterte sie mit einer Sehkraft von 4%. Den Lina ist seit dem 9. Lebensjahr fast blind.
Was versteht man unter Diversity, Equity & Inclusion im Unternehmenskontex?
Lina arbeitet unter anderem als DEI-Managerin, wobei sie sich für die Entwicklung und Umsetzung von Strategien und Initiativen zur Förderung von Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration innerhalb eines Unternehmens verantwortlich ist. Doch was bedeuten die genannten Begriffe speziell im Unternehmenskontext?
Unter Vielfalt (eng. Diversity) versteht man das Vorhandensein von Unterschieden in einem bestimmten Umfeld. Am Arbeitsplatz kann dies Unterschiede in Bezug auf Rasse, ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung, Alter und sozioökonomische Klasse bedeuten. Außerdem kann es sich auch auf Unterschiede körperlicher Fähigkeiten beziehen, wie die Tatsache, ob man Kinder hat oder nicht. Gleichberechtigung (eng. Equity) ist der Prozess, der sicherstellt, dass Praktiken und Programme unparteiisch und fair sind und für jeden Einzelnen die gleichen Möglichkeiten bieten. Inklusion (engl. inclusion) ist die Praxis, die sicherstellt, dass sich Menschen am Arbeitsplatz zugehörig fühlen. Das bedeutet, dass sich jeder Mitarbeiter wohlfühlt und von der Organisation unterstützt wird, wenn es darum geht, sein authentisches Selbst zu zeigen.
Durch die Kombination dieser drei Elemente ist DEI ein Leitbild, das den Wert der verschiedenen Stimmen anerkennt und Inklusivität und das Wohlbefinden der Mitarbeiter als zentrale Aspekte des Erfolgs hervorhebt. Um diese Werte mit Leben zu erfüllen, müssen Unternehmen Programme und Initiativen umsetzen, die ihre Büros aktiv zu einem vielfältigeren, gerechteren und integrativeren Ort machen. Und genau da beginnt Pietras Arbeit.
“Je diverser, desto erfolgreicher ein Unternehmen” - wieso dann der langsame Wandel?
Ergebnisse der Studie „Diversity Wins – How Inclusion Matters“ von McKinsey aus dem Jahr 2020 haben gezeigt, dass Unternehmen mit einer ausgeprägten Vielfalt in Bezug auf Geschlecht und ethnische Herkunft eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Dabei haben Unternehmen mit hoher Gender-Diversität eine 25% höhere Wahrscheinlichkeit, und Unternehmen mit hoher ethnischen Diversität sogar eine 36% höhere Wahrscheinlichkeit, wirtschaftlich erfolgreicher zu sein. Diese Ergebnisse basieren auf der Analyse von Daten von mehr als 1.000 Unternehmen in 15 Ländern. Wie kann es daher sein, dass Unternehmenslenker:innen bisher so unaufmerksam beim Thema Diversity gehandelt haben?
Pietras erklärt, dass Diversität im Top-Management bisher ein blinder Fleck war und der Mehrwert und dessen Produktivität schlichtweg verkannt wurde. Mehr Zeit bei den Entscheidungsrunden, längere Innovationszyklen und tief verwurzelte Glaubenssätze über die bestehenden homogenen Ausbildungshintergründe standen einer schnellen, produktiven Veränderung und dem Verstehen des Mehrwerts von Diversität im Weg. Außerdem mangelt es möglicherweise an Verständnis oder Bewusstsein für die Vorteile der Vielfalt bei der Entscheidungsfindung und Problemlösung. Auch der Mangel an Vielfalt in Führungspositionen könnte ein Grund dafür sein, der es erschwert, dass unterschiedliche Sichtweisen gehört und umgesetzt werden. Letztlich können auch der sog. “Unconcsious Bias” (z.dt. unbewusste Voreingenommenheit) oder ein genereller Widerstand gegen Veränderungen innerhalb von Organisationen die Umsetzung von Diversity-Initiativen behindern.
“Man hatte die Formel gefunden, egal in welchem Industriebereich, und dann ist man da drin geblieben. Du hattest überhaupt nicht den Bedarf, und wolltest auch nicht, dass jemand die Weltformel, die man ja dachte gefunden zu haben, hinterfragt.” - Lina Maria Pietras
Unternehmen mit Frauen in den Führungspositionen sind erfolgreicher
Diesen Fakt hat die Internationale Arbeitgeberorganisation in einer Studie bewiesen. Ist es dann nicht eher ein Gespräch über Geschlechter, statt allgemein über Diversität? Die Internationale Arbeitgeberorganisation fand heraus, dass zwei Drittel der Unternehmen, die auf eine durchmischte Chefetage setzen, ihre Gewinne um bis zu 15 Prozent steigern konnten. Pietras betont, dass es wichtig ist, die Diversität nicht nur auf die Geschlechterdiversität zu beschränken, sondern alle Arten von Vielfalt zu berücksichtigen, die in einem Unternehmen vorhanden sind.
“Am Ende finde ich es immer ganz gut, weil man an den Punkt zurückkommt und sich daran erinnert, dass wir alles Menschen sind. Unabhängig davon, welches Label wir tragen, unabhängig davon, wie viele der Label wir tragen.” - Lina Maria Pietras
Vielfalt als Erfolgsgarant: Wie Diversität zu mehr Profit führt
Unternehmen mit einer hohen ethnischen Diversität und Altersdiversität haben auch eine höhere Wahrscheinlichkeit, erfolgreich zu sein. Erfolgsfaktor Vielfalt? Pietras und Underwood erklären, dass die daraus resultierende Profitsteigerung auf verschiedene Faktoren zurückzuführen sein kann. Wie zum Beispiel die Förderung von breiteren Perspektiven, die Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit, die Attraktivität für Kunden, die Verbesserung der Reputation und die Förderung von Innovationen. Eine ausgewogene Mischung von verschiedenen Hintergründen und Lebensrealitäten führt auch zu kreativeren Lösungen. Unternehmen sollten daher größere Anstrengungen auf sich nehmen, um eine Vielfalt von Hintergründen und Geschlechtern in ihren Führungsteams zu fördern und somit die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen. Pietras wirft daraufhin auch einen Blick in die Zukunft und merkt an, wie viele unberührte Märkte und Perspektiven es da noch gibt und wie sich die Ergebnisse in den nächsten fünf Jahren durch eine “diversere Diversität” verändern werden.
Vorurteile abbauen und ein Bewusstsein für unterschiedliche Distanzen schaffen
Vorurteile gegenüber bestimmten Lebensumständen oder körperlichen Einschränkungen bauen sich besonders im Unternehmenskontext nur langsam ab. Das Thema Behinderung ist in vielen Unternehmen laut Pietras noch fern davon, groß Akzeptanz und Annahme zu finden. Das zeigt sich auch in der Zögerlichkeit, Führungspositionen mit Menschen mit Behinderungen zu besetzen. Diese werden ihnen einfach noch nicht zugetraut, erzählt sie. Diversität und Inklusion betreffen demnach unterschiedliche Aspekte und Funktionsbereiche innerhalb eines Unternehmens und so schreitet sie geduldig unterschiedliche Punkte auf dem Weg zu einem inklusiveren Unternehmen ab.
Die allgemeinen Vorurteile unterscheiden sich auch stark, je nachdem, wo die eigene Lebensrealität des Teammitglieds verwurzelt liegt. Zum Beispiel kann das Thema Familienstatus und Vereinbarkeit von Familie und Beruf für ein Team mit vielen Eltern präsenter sein, als für ein Team mit vielen jungen Menschen, für die die Familienplanung noch weit entfernt ist. Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass es unterschiedliche Distanzen gibt, die auf dem Weg zu einem inklusiven Unternehmen zurückgelegt werden müssen. Und zwar je nachdem, wo die Akzeptanz für das jeweilige Thema liegt.
Inklusion durch den richtigen Strategieprozess: Wie Diversität in die Unternehmensstrategie einbezogen wird
Ein wichtiger Aspekt bei der Förderung von Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion im Unternehmen ist das richtige Training. Punktuelle Trainings, die sich auf Prävention konzentrieren, haben nachweislich keine großen Auswirkungen auf die Änderung des Gedankenguts und des eigenen Verhaltens. Stattdessen ist es wichtig, speziell auf eine Verhaltensveränderung abzuzielen und die Identifikation mit der Vielfalt des Themas zu fördern.
Ein klassisches, operatives Trainingsprogramm, das lediglich an Geld gekoppelt ist, führt nicht unbedingt zu einem inklusiven und diversen Unternehmen. Daher sollte das Thema Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion mit in den Strategieprozess einbezogen werden, indem die Repräsentanten des Unternehmens, die am Strategieprozess beteiligt sind, als Vorbilder fungieren und dadurch die Perspektiven erweitert werden.
Pietras sagt auch, dass es wichtig ist, die Diversität in einem Team zu fördern, auch wenn die Besetzung des Teams sich nicht von heute auf morgen ändern kann. Ein wichtiger Schritt ist es also auch, sich mit den offensichtlichen Unterschieden des eigenen Teams auseinandersetzen und zu versuchen, dahinterliegenden Faktoren zu verstehen. Dafür befürworten Pietras und Underwood, dass sich auch gerne mal gestritten werden darf, um aufzudecken, was denn eigentlich dahinter steckt.
Ist das Thema “Diversity” vielleicht nur Mittel zum Zweck oder Zweck an sich?
Beides! Im Strategieprozess ist es sowohl Mittel zum Zweck, um das Unternehmen auf die sich ständig verändernde Umwelt vorzubereiten, als auch Zweck an sich. Da es die Möglichkeit bietet, mehr Perspektiven und Ideen in ein Team einzubringen und so das Potenzial der einzelnen Teammitglieder besser auszuschöpfen.
Pietras regt auch an, Unternehmer zu fragen, was der Wunsch nach DEI für die eigene Unternehmenskultur bedeutet. Beispielsweise ist eine inklusivere und diversere Unternehmenskultur von zentraler Bedeutung, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und die Stimmen aller Mitarbeiter:innen zu beachten. Die Berücksichtigung von DEI im Strategieprozess ist daher unerlässlich, um nicht nur wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen, sondern auch eine erfolgreiche Transformation zu vollziehen.
“Es gibt nicht DIE diverse Organisation, wir sind nie fertig damit. Es gibt kein Fixpunkt.”
- Lina Maria Pietras
Der Weg zu einem inklusiven Unternehmen ist ein experimenteller Weg, und es gibt kein festgelegtes Idealbild. Dennoch sieht sie da mehr Risikobereitschaft bei mittelständischen Unternehmen, Neues auszuprobieren. Diese verfügen oft über weniger Ressourcen, müssen aus dieser Not heraus kreativer sein und sind daher eher bereit, Verhaltensänderungen auszuprobieren. Dies führt oft zu innovativen Lösungen und einer effektiveren Umsetzung von Diversity-Strategien.
Wie können Unternehmen starten, die sich jetzt die Frage stellen: Wie können wir unsere Diversity verbessern?
Pietras empfiehlt, einen spielerischen Ansatz zu wählen. Eine Möglichkeit kann sein, durch virtuelle oder Präsenz-Cafés, die Annahmen über die eigenen Kollegen zu überprüfen und mehr über deren Perspektiven und Hintergründe zu erfahren. Plötzlich offenbart sich hinter einem sterilen Jobtitel eine unvermutete, bunte Lebensrealität, die viel mehr Verständnis und Einsicht über seine oft auch langjährigen Kolleg:innen schafft.
Eine andere Möglichkeit kann sein, in einer kleinen Runde, beispielsweise zu fünft, offene Fragen zu stellen, die nicht im Lebenslauf oder Jobtitel zu finden sind. Dies kann dazu beitragen, ein besseres Verständnis und eine größere Wertschätzung für die Vielfalt im Team zu entwickeln und so das Potenzial der einzelnen Teammitglieder besser zu nutzen.
Die Welt inklusiver zu machen, das ist, was Lina Maria Pietras tagtäglich antreibt. Abschließend erinnert sie daran, dass es letztendlich darum geht, dass uns das Menschsein eint.
SHOWNOTES
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